Donnerstag, 15. Oktober 2015

Die verschiedenen Erscheinungsformen der Holle in Europa - MURAWA (Lausitz/Sachsen)

"Die Mare des englischen Gebrauchs kann keine andere als die an der Spitze der Elben ziehende Holda oder Berhta sein, an deren Stelle in den Zwöften ja auch die Murraue tritt, und Murawa heißt bei den Wenden der Alp."

(aus: Kuhn, Adalbert/Schwartz, Wilhelm (Hrsg.), Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Aus dem Munde des Volkes gesammelt, Leipzig 1848, S. XXIIIf.)

Durch die Karte von Andrea Jakob nach Erika Timm über die Verbreitungsgebiete der Frau Holle und ihre verschiedenen Namen bin ich als Sächsin auf MURAWA gestoßen. Mich interessiert vor allem, was und wieviel Murawa mit der uns heute bekannten Holle gemeinsam hat. 


 (Quelle: Meininger Museen)

Holle, unter vielen verschiedenen Namen bekannt, ist eine uralte Muttergöttin/Vegetationsgöttin, aber auch Unterweltsgöttin, Beschützerin der Mütter und Kinder, der spinnenden Frauen, sie ist gütig, aber auch strafend.Die Geschichten über Murawa hören sich allerdings an wie im Alptraum ;-)

„Murawa ist die wendische Bezeichnung für einen Nachtalb, ein Wesen der nordischen Sagenliteratur, dass in ihrem Ursprung als Mahr bezeichnet wurde und sich dadurch kennzeichnen lässt, dass es Menschen zur Nacht heimsucht und Angstzustände, Atemnot oder gar den Tod auslösen kann. Unklar erscheint die genaue Bezeichnung für eine Murawa, allerdings scheint die Bezeichnung Albtraum zutreffend zu sein. Insbesondere die Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zeigt deutlich, dass Murawa sowohl ein hexen- als auch teufels- und alptraumartiges Wesen dargestellt hat. Folgt man dem germanischen Ursprung des Wortes Murawa, was sich von dem Wort Mahr bzw. mehr herleiten lässt, dann erhält man die Bedeutung "zerstoßen", was auf den destruktiven Charakter der Murawa und die damit verbundene Angst der Menschen erklären könnte.“ Quelle: Hoyerswerda-Lese

Wieso sollte Murawa eine slawische, auf dem Gebiet des heutigen Sachsens verbreitete Form der Holle sein? Wurde hier wieder eine alte Göttin dämonisiert? Oder zeigt die Murawa eher den dunklen, strafenden Aspekt der Holle?

Heimatmuseum Dissen (Lausitz)
(c) Fotos: Nuit Heidhr
 


Bei weiteren Recherchen stieß ich auf ein Buch von Norbert Reiter, Das Glaubensgut der Slawen im europäischen Verbund, wo unter dem Kapitel „Götter der Ostslawen“ (§ 37) die mögliche Verbindung zu Aspekten der Holle interessant dargestellt wird:

„Die Murawa treibt in den Zwölften ihr Unwesen. Hat eine Frau am Abend vor Weihnachten ihren Flachs nicht abgesponnen, so speit ihr die Murawa auf den Roggen und legt sich ihr im Schlaf auf die Brust. Wird am 24. Dezember gesponnen, so bringt die Murawa Unheil. Die Schafe erkranken dann am Drehwurm. Besonders streng galt das Verbot für Mütter, denen schon Kinder gestorben sind …
… Murawa hat zwei Bedeutungen: Murawa-1, wie bisher ‚Spinnenaufsicht‘ und Murawa-2 Mahr, Alp. Es wird angenommen, es handle sich um dasselbe Wort.
… Murawa-1 und Murawa-2 passen aber hagiographisch nicht zueinander. Die ‚Spinnaufsicht‘ legt sich außer hier bei den Wenden sonst niemand auf die Brust, um ihn für die Übertretung des Spinnverbots zu bestrafen. Darum ist es wohl geboten, Murawa-1 und Murawa-2 etymologisch zu trennen und es mit den topographischen Namen Morava (Name von Mähren, Fluss in Serbien, usw.) oder tschechisch morava ‚feuchtes Grasland‘ in Verbindung zu bringen und es von more (Meer, See) (vgl. auch die Müritz in Mecklenburg) abzuleiten. Über diese Etymologie würde Murawa-1 (die Murawe) konzeptionell an die mokošb heranrücken, insofern beide jetzt semantisch durch ‚feucht, nass‘ miteinander verbunden wären. Erst die Namensähnlichkeit Morava/Murawa dürfte dazu geführt haben, dass die ehemalige Morava Züge der Murawa-2 angenommen hat und uns nachhaltig als Murawa-1 bekannt geworden ist.

Bei der Androhung, die Übertretung des Spinnverbots zu bestrafen, handelt es sich vermutlich um eine Vorsichtsmaßnahme, durch die verhindert werden soll, dass sich Frauen der Murawa (bzw. Frau Holle, Frau Percht) ausliefern, deren Gewalt in den Zwölf Heiligen Nächten am größten ist…. „ *
* Norbert Reiter, Das Glaubensgut der Slawen im europäischen Verbund, 2009, S. 71

„… Die hagiographischen Eigenschaften von mokošb/rožanicy stimmen mit den Haupteigenschaften von Frau Holle/Frau Percht überein. Erkennbar sind zwei, nämlich die ‚Spinnaufsicht‘ und die Beziehung zu den Kleinkindern, bzw. auf die rožanicy bezogen, auf die Geburtshilfe. GRIMM MYTH. 1 233f. nennt außerdem die Sorge um Ackerbau und Schifffahrt, von denen das Erstgenannte auch für mokošb kennzeichnend gewesen sein dürfte. Im Brauchtum ist das nicht tradiert worden, die Etymologie des Namens, der als ‚Fruchtbarkeitsspenderin‘ gedeutet werden kann, würde die Mokošb aber auch in dieser Hinsicht mit Frau Holle/Frau Percht gleichstellen.“ *
* Norbert Reiter, Das Glaubensgut der Slawen im europäischen Verbund, 2009, S. 74

Johann Georg Theodor Grässe schreibt 1874:

"Die Murawa ist dasselbe, was man in der deutschen Mythologie den Alp nennt. Man stellt sich denselben in der Gestalt einer Frau vor, die den Menschen im Schlafe peinigt, und sich zuweilen wie eine schwere Last auf ihn legt, daß sie weder athmen noch sprechen können. Sie ist demnach eigentlich eine Nachtwandlerin, erscheint aber auch dann bei Tage, wenn es während des Sonnenscheins regnet. Zu dieser Zeit flattert sie als Schmetterling von aschgrauer Farbe, den man im Wendischen demgemäß auch Khodojta (Hexe) nennt, umher, und nimmt die Gelegenheit wahr, wie sie etwa Jemandem schaden könne. Die Mara dagegen wird bald als Krankheits-, bald als Todesgöttin betrachtet. Sie pflegt sich zu zeigen, wenn eine Seuche einer Ortschaft naht, man kann dieser aber den Eingang wehren, wenn man die Dorfmark mit drei Pflugfurchen umzieht. Auf dem Kotmar- oder Hochberge dagegen erscheint sie in anderer Weise, denn sie soll dort zur Mittagsstunde herumwandeln und Alles fruchtbar und die Kräuter wachsend machen. Daher pflegten die Wenden ehedem Wallfahrten dorthin zu unternehmen, und sie durch angezündete Feuer, gekochte Milch und Kräuter zu ernähren, damit sie ihr Vieh beschütze etc. Uebrigens kennen die Lausitzer noch eine andere Todesgöttin, die Smertnitza, die sie sich als eine blasse, aber wohlgebildete und weißgekleidete Frau denken, welche sich vor oder in einer Behausung zu zeigen pflegt, wo innerhalb dreier Tage Jemand sterben soll.“ *
* Johann Georg Theodor Grässe, Die Murawa und Mara in der Lausitz, in: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 202–203, 1874


Johann Heinrich Füssli, Nachtmahr, ca. 1781 

In der Lausitz findet man folgende alte Sage: Die MORAWA 

Ein Fleischer- und ein Bäckergesell wanderten einst in die Fremde. Der Bäcker wurde bald matt, da er brustkrank war, legte sich hin und schlief ein. Der Fleischer wusste nichts Besseres zu tun, und folgte seinem Beispiel. Es währte aber nicht lange, so wurde er munter. Er bemerkte, wie sein Mitgesell stöhnte und sich im Schlafe hin und her wand. Indem er noch auf den Schlafenden blickte, sah er, wie eine Schlange aus dem Munde desselben kroch. Die Schlange war ganz schleimig und schlug im Grase mit dem Schwanz hin und her, bis sie trocken war. Darauf kroch sie zum zweiten Male in den Mund des Schlafenden und wieder stöhnte und wand sich dieser. Als sie darauf wieder aus dem Mund desselben herausgekrochen kam, erschlug sie der Fleischer. Der Bäcker wachte nach einiger Zeit auf. Er fühlte sich gesund und munter und litt fortan nicht mehr an der Brust. Also muss die Schlange die Murawa gewesen sein. 

(aus „Sagen der Lausitz“  Zusammengestellt von Erich Krawc erschienen im  Domowina Verlag 1962, Quelle: Heimatverein Merzdorf ) 


Auf meiner Recherche bin ich auf die slawischen Göttinnen Marzanna (Polen), Morė (Lithauen), Morana (Tschechei, Slowenien), Morena (Slowakei, Russland) oder auch Mara, Maržena, Morana, Moréna, Mora oder Marmora im Baltikum gestoßen. All diese Göttinnen assoziiert man mit jahreszeitlichen Riten, basierend auf Tod und Wiedergeburt in der Natur. Sie verbindet man auch mit Tod, Winter und Alpträumen. Die namentliche Verbindung zu Murawa ist nicht zu übersehen.
 Effigy of Morana (Death). Czech Republic, Foto © Jedudedek
 
Georg Liebusch schrieb 1833 über Murawa:

„Eine alte Berg oder Mondgöttin war aber ohnstreitig die Kimora oder Kikimora. Sie war die Murawa und Kodoiza der Wenden, der Alp (die Alpe) der Deutschen und die in den russischen Heldenliedern vorkommende Kaschtschey (kasch tschen ei). Ihre Kinder waren die Gespenster, die sie des Nachts über die Menschen aussandte und die schwere Träume brachten. Unter ihrer Herrschaft standen die Kobolde (Koltki kolotki), kleine Bergwesen, Bergmännchen und die Leschi (ein später entstandenes Wort), die Waldgeister, welche die Menschen bei Tage neckten und bei Nacht erschreckten und unter denen man sich entweder rohe, dem neuen Religions Cultus abholde Bergbewohner oder was in Bezug auf die spätere Zeit wahrscheinlicher ist, Seelen der Verstorbenen dachte, die in Berg und Waldhöhlen so lange sich aufhalten mussten, bis sie das dunkle Land durchwandelt hatten und bis es ihnen durch die Macht des Sonnengotts gestattet war, per … wieder ans Licht zu kommen. Die Leschje oder Lesnje (in der ersteren Form) waren, sagt Mone, meist böser Natur und zwiegestaltet, von oben menschlich, aber mit Hörnern hohen Ohren und Ziegenbart abwärts den Böcken gleich. Nach dem Volksglauben konnten sie ihre Größe verändern, gingen sie im Grase, so waren sie nicht höher als dasselbe im Walde aber ragten sie über die Bäume, Wälder waren ihnen vorzüglich geweiht und man durfte sie da nicht beleidigen, denn sie jagten entweder durch ein fürchterliches Geschrei Schrecken ein oder verführten den Wanderer durch bekannte Stimmen auf Irrwege, bis die Nacht kam, wo sie dieselben in ihre Höhle lockten und zu Tode kitzelten. Dieser Glaube war wahrscheinlich durch das ganze Slavenland verbreitet. Zum Mindesten scheinen sich noch jetzt Rudera desselben in dem gebirgigen Theile der südlichen Oberlausitz zu finden, wo man zu einem der im Walde schreit scherzend sagt, dass die Lischkje in dieser Form Füchse über ihn kommen und ihn zu Tode kitzeln würden. Es ist fast keinem Zweifel unterworfen, dass hier eine Verwirrung der Begriffe obwaltet und das Lischki aus dem alten Leschje (Waldgeister) entstanden ist.“** (S. 180)

„... Es erleidet keinen Zweifel dass die Idee des jetzigen Alps, der die Menschen ohne Noth quält, aus den Vorstellungen hervorgegangen ist, die man von den Geschäften der Mond oder Berggöttin hatte. Aber auch schon im Alterthume glaubte man dass die alte auf strenge Moralität und Legalität haltende Berggöttin bei Nacht die Uebelthäter und Verbrecher durch einen unruhigen Schlaf und durch Beängstigungen, die von einem unruhigen Gewissen herrührten, peinige. Diese wohlthätige geheime nächtliche, der Nemisa ähnliche Rächerin des Bösen verwandelte man schon in der Zeit des späteren Fetischismus in ein Wesen, welches die Bekenner der modernen Religion des Nachts willkührlich plage, die christliche Zeit aber überhaupt in einen menschenfeindlichem Plagegeist der seine Bosheit vorzüglich an alten Weibern und älteren Jungfrauen übe. Die oberlausitzer Wenden nennen dieses peinigende Wesen, das der Aberglaube bald als eine alte schwarze unflätige Frau (vergleiche den zernebog Marovit der Nordwenden) bald als ein Männchen im feuerrothen Kleide (Mondgott) sich vorstellt ‚Kodoiza‘. Dieses Wort ist aus ‚ko‘ der Berg und aus ‚doi iza‘ die Göttin zusammengesetzt. Die Niederlausitzer nennen die Kodoiza Murawa (mur awa asa) welches Wort auch Berggöttin, Mondgöttin, Sonnengottsfrau bezeichnet. Die Schweden (Mar) und die Deutschen haben dem Alp fälschlich zu einem Manne gemacht. Ein Sonnengott ist dieser Mann nicht und kann es nicht seyn weil das Geschäft welches dem Alp zugeschrieben wird mit der Idee des nur am Tage und im Lichte wirkenden Sonnengotts unvereinbar ist.“** (S. 140) 

** Skythika: oder, Etymologische und kritische Bemerkungen über alte Bergreligion u. späteren Fetischismus“, Georg Liebusch, 1833

Nara

Donnerstag, 7. Mai 2015

Germanisches Opfermoor Niederdorla

Besucht am 3. Mai 2015:

Auf unserer Rückreise von den Beltanefeierlichkeiten machten wir einen kurzen Zwischenstopp am Germanischen Opfermoor. Dies war mein zweiter Besuch, ich möchte deshalb auf mein Blogposting vom November 2011 verweisen.





Beim Torfabbau fand man in den 50er Jahre verschiedene Tierknochen und Tonscherben. Die Ausgrabungen begannen und inzwischen zählt das Opfermoor zu den ertragreichsten Fundorten aus germanischen Zeiten. Die Kultstätte wurde im 6. Jh. v.d.Z. (Hallstattzeit) von einer einheimischen Bevölkerungsgruppe gegründet, dann folgte die Latène-Zeit (500 v.d.Z. bis um das Jahr 0), es kamen keltische Einflüsse dazu und Ende des 1. Jh. v.d.Z. erschienen die Hermunduren.




Auf dem Gelände findet man originalgetreu nachgebaute Häuser, Kultplätze, Altäre, Opferplätze sowie Karten mit eingezeichneten Fundorten.


 
(Rundheiligtum der Hermunduren, 1 Jh. vuZ, mit Kultpfählen, Rasenaltar, Opferstätten)
 


Ein isoliertes Heiligtum mit dem Kantholzidol einer Göttin, das gallo-römische Einflüsse zeigt, repräsentiert das 3. Jh. Diese Göttin die u.a. Hirsch- und Eberopfer erhielt, kann mit der römischen Diana verglichen werden. Sie hatte in älteren Heiligtümern von Oberdorla auch eine Vorläuferin, die einen Bumerang als Jagdwaffe führte. In dem Heiligtum aus dem 3. Jh. befand sich der Sarg eines jungen Mädchens, das offenbar die Priesterin der Göttin war. Im 4. Jh. wurde diese Kultstätte völlig zerstört - möglicherweise im Zusammenhang mit politischen und religiösen Unruhen. Quelle: http://www.opfermoor.de/)





Schiffsheiligtum aus dem 5. Jh., errichtet für eine männliche Gottheit. Im Hintergrund befindet sich ein kleineres Schiffsheiligtum, erschaffen für eine weibliche Gottheit.

 

(Pferdeschädel auf Phallusphal)





(Astgabelidol, weibliche Gottheit)




(Astgabelidol, weibliche Gottheit)